405er Mehl
Liebe Brotbackfreunde,
Übergewicht, ernährungsbedingte Krankheiten - vor allem Diabetes und Divertikulose - sind immer wieder Bestandteil mehr oder weniger gut recherchierter Reportagen. Mal klagen die Verbände, die Ärzte, die Krankenkassen - es müsse sich in unseren Ernährungsweisen etwas ändern. Weniger Fleisch soll es richten, Vegetarismus oder sogar eine vegane Ernährungsweise poppen hier in immer neuen Spielarten auf. Da denk ich mir immer, seht ihr denn nicht, dass es ein ganz großes Problem direkt vor unseren Nasen gibt?
405er Weizenmehl wird in riesigen Mengen in Backwaren aller Art verarbeitet, und dass nicht nur in der Industrie, sondern auch in den meisten Haushalten. Es handelt sich hier um ein Mehl unterster Güte, bestehend nur aus Stärke- und Zuckermolekülen, staubfein gemahlen, so dass die Körper beim Stoffwechsel regelrecht mit Zuckern überschwemmt werden. Und das jeden Tag, jeden Monat, Jahr für Jahr. Dabei gibt es doch wirklich gute Alternativen.
Eine befreundete Agrarwissenschaftlerin fragte mich einmal, warum man aus Triticale (Kreuzung zwischen Weizen und Roggen) eigentlich kein Brot backen könne. Natürlich kann man das, und schon hatte ich zwei Sack Triticale am Lager und habe wirklich kräftige, wohlschmeckende Sauerteigbrote daraus gebacken. Die Bäcker hingegen schätzen dieses Getreide nicht. Seit seiner Einführung Ende des 19. Jahrhunderts führt es ein Dasein als wertvolles Mastfutter in der Schweinezucht.
Die Schweine bekommen also dieses sehr hochwertige Getreide und die Menschen essen 405er Mehl.
Neulich zeigte der Fahrer einer Mühle auf eine Palette mit Getreidesäcken. Alles hochwertiger Nackthafer. Er meinte, das können auch wir Menschen essen, ist aber für einen Reiterhof gedacht. Und tatsächlich, eine alte Hafersorte, aufgrund ihres sehr hohen natürlichen Fettgehaltes eigentlich sehr wertvoll auch für unsere Ernährung, ist der Schwarzhafer. Der wird aber nur als Pferdefutter angebaut.
Und wir Menschen essen 405er Mehl.
Die Hirse ist wohl das älteste Kulturgetreide, sie begleitet uns seit bald 15000 Jahren. Sie hat als hochwertige Nährstoffquelle den Menschen von den Bäumen runter in die Steppe geführt. Dieses Getreide zeichnet sich durch eine sehr gleichmäßige Aminosäurenverteilung aus. Wichtig, um den Körper mit hochwertigen Proteinen zu versorgen. Hirse ist unglaublich mineralstoffreich und enthält die Kieselsäure.
Und was machen wir heute? Geben die Hirse unseren Wellsittichen und essen 405er Mehl.
Ein weiteres sehr altes Kulturgetreide ist die Gerste. Die hat man zum Bier brauen genutzt. Das ist auch prima so, aber in der Ernährung? Ihre speziellen Stärkemoleküle binden im Darm Cholesterine, bevor sie in die Blutbahn übergehen können und führen sie aus. Also eine sehr schöne wünschenswerte Eigenschaft, aber wann haben Sie das letzte Mal einen Gerstenpfannkuchen gegessen?
Die Gerste wird lieber als Mastfutter genutzt (und natürlich fürs Bier), und wir backen unsere Pfannkuchen mit 405er Mehl.
Alte Kuchenrezepte aus der „vor Dr. Oetker Zeit“ wurden in der Regel mit griffigen (griesigen) Mehlen gebacken. Vereinzelt finden sich noch alte Rezepte, in denen Gries eingesetzt wird. Hier hatte der Körper es deutlich schwerer, an die Nährstoffe zu kommen. Aber worauf basieren die meisten heutigen Kuchen- (und auch Brot-) Rezepte? Auf 405er Mehl.
In diesen Zeiten des unseligen Angriffskrieges gegen die Ukraine ist es gerade dieses billige Mehl, was überall fehlt. So sehr ich diesen Krieg verurteile, für die allgemeine Ernährung bei Backprodukten ist es ein Segen. Denn unsere Bauern produzieren durchaus genug Getreide für unsere Ernährung. Wir müssen nur wieder lernen, diese für unseren Speiseplan zu verarbeiten.
In diesem Sinne einen guten Appetit!
Ihr
Andreas Sommers