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Und immer ist der Verbraucher schuld!

Liebe Brotbackfreunde,

gehören Sie auch zu den Verbrauchern, die kein Geld für Lebensmittel ausgeben wollen? Die Billiglebensmittel präferieren? Die zwar von Nachhaltigkeit reden, an der Supermarktkasse aber mit „Geiz ist geil“ abstimmen?

 

Das ist doch der tägliche Tenor, der von Politikern aller Couleur heruntergebetet wird, der täglich in den Medien propagiert wird. Der Verbraucher ist schuld an der Landwirtschaftsmisere, weil er kein Geld für Lebensmittel ausgeben möchte.

Ist das nicht eine Schande? Zu meinem Berufsbild als Ernährungsberater gehört auch, sich regelmäßig über das Angebot an Lebensmitteln bei Discountern, Supermärkten, Märkten ganz allgemein zu informieren. Nehmen wir mal das Lieblingsfeindbild der moralisierenden Besseresser, den Discounter mit dem großen „A“. Ja, hier gibt es die Milch für die sündhaft wenigen 0,65 €, aber was steht gleich daneben? Eine Bio-Milch mit eigenem Bio-Label für 1,29 €, weiter eine Wiesenmilch (was immer „Wiese“ hier bedeutet, dazu aber später mehr) für 1,09 € und eine weitere Milch für 0,99 €. Ein ähnliches Bild beim Fleisch und beim Obst/Gemüse. Und noch etwas fällt auf, um mal bei der Milch zu bleiben. Die Stellflächen in Discountern sind extrem durchkalkuliert. Hier wird kein Platz verschwendet für Produkte, die sich nur mäßig bis schleppend umsetzen. Die doppelt so teure Bio-Milch hat den gleichen Platzbedarf, wie die billige Milch. Das bedeutet im Umkehrschluss, sie wird genauso gut verkauft.

In anderen Märkten sehe ich dasselbe Bild. Auch mein Blick in die Einkaufswagen an den Kassenschlangen bestätigt, dass durchaus die teuren Lebensmittel gekauft werden. Insofern kann die pauschale Behauptung „Verbraucher kaufen nur billig“ nicht stimmen.

Im Gespräch mit meinen Wochenmarktkunden und meinen Wochenmarktkollegen wird schnell klar: Verbraucher wollen „ehrliche“ Lebensmittel und sind dafür durchaus bereit mehr Geld zu geben. Das hat auch nichts mit dem Verdienst zu tun. Oft gerade junge Familien, die am Beginn Ihrer Lebensplanung stehen, fragen vermehrt gute und ehrliche Lebensmittel nach und bezahlen sie auch.

Wieso jetzt also diese informative Schieflage bei Politik und Medien?

Ich spreche hier von „ehrlichen“ Lebensmitteln. Das heißt jetzt nicht unbedingt, dass es Bio-Lebensmittel sein sollen. „Bio“ hat längst seinen Zauber verloren, wird doch mit selbstgegebenen Siegeln und Labeln etwas vorgetäuscht, was nicht gehalten werden kann. Der sowieso schon oft verunsicherte Verbraucher fängt an, dem zu misstrauen und greift dann doch zum billigeren Lebensmittel, weil er sich denkt, wofür soll er mehr Geld ausgeben, wenn die Marketingversprechen auf der Verpackung oftmals glatte Lügen sind.

Sicher hier gibt es in den Medien und Verbraucherzentralen immer mal wieder aufklärende Kampagnen, aber die Reichweite ist kurz und oft am nächsten oder übernächsten Tag wieder verpufft. Der Verbraucher wird mit der Übermacht einer perfiden Marketingmaschine regelrecht erdrückt.

Geben wir doch den Medien die Schuld. Oder ist das nicht doch etwas zu kurz gegriffen? Die täglichen Massenmedien sind nicht nur auf Aufmerksamkeit angewiesen, sondern auch auf Werbeeinnahmen, und diese sprudeln vor allem aus Richtung der Lebensmittelindustrie. Wer sägt schon an dem Ast, auf dem er sitzt?

Früher war Zigarettenwerbung eine wichtige Einnahmequelle für viele Medien, darum hat man sich gehütet, allzu viel Schlechtes über den Tabakkonsum zu schreiben. Erst als der Gesetzgeber eingriff, Werbung für Tabakprodukte reglementierte und dann ganz verbot, wurde dem Rauchen immer kritischer gegenüber gestanden. Oder die Kosmetikindustrie? Was hat sie nicht alles an Marketingversprechen gegeben, die oft so weit hergeholt waren, dass sie als glatte Lügen benannt werden konnten. Auch hier hat der Gesetzgeber reglementierend eingegriffen und die Kosmetikindustrie dazu verpflichtet, ihre Versprechen auch nachweislich einhalten zu können.

Und bei den Lebensmitteln? Also den wirklich wichtigen Produkten in unserem Leben? Fehlanzeige. Ich befasse mich seit über 20 Jahren intensiv mit Ernährung und hatte auch Hoffnungen an die Politik. Aber selbst eine grüne Verbraucherministerin (Künast) hat nichts, aber auch gar nichts gegen die Marketingmacht der großen Lebensmittelkonzerne ausgerichtet. Mittlerweile ist auch mir klar geworden, dass sich die Politik hier wegduckt, ganz gleich welcher Couleur. Es wird gefordert, praliert, sich profiliert mit Bekenntnissen – für was eigentlich? Die Politik ist da, um Gesetze zu beschließen, und selten war der Konsens in der Bevölkerung den Lebensmittelkonzernen klare Schranken zu weisen größer. Aber nichts passiert. Freiwilligkeitserklärungen, Wischiwaschi-Siegel – es ist entsetzlich. Stattdessen wird die Verantwortung an uns, die Verbraucher weiterdelegiert, ihr wollt ja sowieso kein Geld für bessere Lebensmittel ausgeben.

Und auf der anderen Seite? Der eine Supermarkt behauptet „Frische wie vom Wochenmarkt“, der nächste gibt damit an, sogar „der beste Wochenmarkt Deutschlands“ zu sein. Wie dreist geht das eigentlich noch? Viele meiner Wochenmarktkollegen sind, wie ich auch selbst, Selbsterzeuger, die eh schon mit immer mehr Bürokratie (z.B. der Bonpflicht), Drangsalierung durch die Behörden zu kämpfen haben. Und dann kommen große Konzerne, hofiert durch Politik und Medien (Werbeeinnahmen) und schmücken sich mit unseren Federn.

Von den ganzen Werbelügen ganz zu schweigen, aber da reicht ein Blick auf die Foodwatch Homepage mit der Liste der dreistesten Werbelügen Deutschlands. Es müssen Gesetze her, die klar regeln, dass alles, was auf der Verpackung behauptet wird, nach klar definierten Maßstäben auch für den Verbraucher transparent nachvollziehbar ist. Was bedeutet eine Bezeichnung wie „Wiesenmilch“? Vor allem, wenn die Milchkartons auch im Januar in den Regalen stehen? Wieso wird bei Babybreien damit geworben keinen Zucker zu enthalten, wenn diese vor Fruchtzucker nur so strotzen?

Der Verbraucher will ehrliche Lebensmittel, transparent und nachvollziehbar, dann wird er auch in den meisten Fällen bereit sein, mehr Geld für seine Lebensmittel auszugeben.

Es ist an der Politik endlich zu handeln (auch wenn einige Ministerien im Moment andere Probleme haben)!

Einen Guten Appetit und bleiben Sie gesund,

Ihr Andreas Sommers