Zum Hauptinhalt springen

Der Flachspüler

Liebe Brotbackfreunde,

das neue Jahr hat begonnen, viele Menschen nutzen diese Zeit, Neues zu beginnen, frisch gefasste Vorsätze in die Tat um zu setzen. Ganz gegen diesen Trend, schreibe ich Ihnen von etwas Vergangenem.

 

Über die Weihnachtstage waren meine Frau und ich auf die Insel Sylt eingeladen. Der Lebensgefährte meiner Schwester hat mit seiner Familie in Hörnum ein Ferienhaus. Ein hübsches Reetdachhaus oben in den Dünen vis-à-vis zum Hörnumer Leuchtturm. Urig das Haus, in den 1960er gebaut und noch mehr oder weniger im Originalzustand. Und was finde ich dort auf der Toilette vor? Tadaa! Einen Flachspüler!

Kurz angemerkt: für die empfindlichen Gemüter empfehle ich die weitere Lektüre dieses Newsletters auf die Zeit nach den Mahlzeiten.

Ältere unter Ihnen wissen vielleicht etwas mit dem Begriff „Flachspüler“ anzufangen. Es handelt sich um eine Toilette. Anders als die modernen „Tiefspüler“ blieb der ausgeschiedene Stuhl (Schiet, Haufen, Kot, Exkrement, Duddies, Würste, Kacke, Scheiße, Fäkalien, Exkremente, Defäkation, großes Geschäft, Paket aus Darmstadt, besonders originell: King Kongs Daumen, ...) zur Begutachtung erst einmal auf einem kleinen Podest liegen, bevor er dann mit der Wasserspülung zur weiteren Entsorgung nach unten geschickt wurde.

Sie haben richtig gelesen „zur Begutachtung“. Früher hatten die Menschen ein anderes Verhältnis zu ihren Ausscheidungen. Sagte doch die Form, Konsistenz und Farbe des Stuhls eine Menge über die Verdauung aus.

Noch meine Eltern hatten eine Menge Hausmittel im Medizinschrank, und wussten diese ein zu setzen. Man ging nicht wegen jeder Unpässlichkeit gleich zu Arzt. War der Stuhl weich bis flüssig gab es Kohletabletten und es war klar, dass beim gestrigen Essen irgendetwas nicht gut gewesen sein muss. Also passte man beim nächsten mal etwas besser auf. War der Stuhl hart und Ködelig und kam nur unter Mühen aus dem Darm, wurde Sauerkraut verabreicht. Ich spreche hier nicht vom Sauerkraut aus dem Supermarkt, sondern vom dem hochaktiven milchsäurebakterienreichen selbst eingelegten Weißkohl (oder auch anderen Kohlsorten), das brachte den Darm wieder auf Trapp. Eine kräftige grüne Wurst, gestern gab es Grünkohl, der war jetzt gut durchverdaut. Stank es zum Gotterbarmen, dann war wohl der (schweine-) Fleischkonsum etwas zu exzessiv. Wurde der Stuhlgang von heftigen Blähungen begleitet – Zwiebeln und/oder Hülsenfrüchte waren sicher Schuld. Überhaupt wurden Blähungen ehr als Hinweis auf eine gute Verdauung angesehen und nicht gleich eine Unverträglichkeit gemutmaßt. Naja und lebte etwas in der Wurst, dann wurde es doch Zeit einmal zum Arzt zu gehen.

Eigentlich wäre auch heute noch ein Flachspüler probat, wenn Sie auch keine Selbstdiagnose Ihres Stuhlgangs durchführen möchten, zur Entnahme einer Stuhlprobe für die ärztliche Untersuchung wäre das sehr praktisch.

Für die Menschen früher war der Zusammenhang zwischen dem was man von oben dem Körper zuführt, und dem was unten wieder raus kommt, sehr bewusst. Das ist unserer heutigen Gesellschaft komplett abhanden gekommen. Da hat das Aussterben der Flachspüler zugunsten der Tiefspüler sicherlich auch eine Menge mit zu tun. Es wird ein riesen Bohei über das was man isst gemacht. Der Gang zur Toilette hingegen ist ein Tabu- ja sogar ein Ekelthema. Da wird ehr auf allerhand Ernährungsexperten und solchen die sich dafür halten, die alles Mögliche (und Unmögliche) über die vermeintliche richtige Ernährung schwadronieren, gehört, als dem eigenen Körper und seinen Signalen zu vertrauen. Ein Kneifen im Darm? Das muss die Fruktose sein. Kräftige Blähungen? Bestimmt das Gluten. Der Stuhlgang kommt nicht wie gewünscht? Ich bin bestimmt übersäuert. Bei der herrschenden Unsicherheit kann man den Menschen alles Mögliche erzählen (und verkaufen).

Der Stoffwechsel ist bei jedem Menschen völlig individuell und je nach Lebensalter verändert er sich. Beobachten Sie nicht nur das, was Sie zu sich nehmen, sondern auch dass, was der Körper wieder von sich gibt. Stellen Sie zeitliche Zusammenhänge zwischen den Mahlzeiten und Ihren Toilettenzeiten her. Gehen Sie mit Freude auf die Toilette und beglückwünschen Sie Ihren Körper dazu, dass er so schön verdaut und entsorgt. Auch ohne Flachspüler, der Anus ist höchst sensibel, er lässt Sie die Konsistenz Ihres Stuhls spüren. Konzentrieren Sie sich darauf, lernen Sie diese Empfindungen richtig einzuordnen. So bekommen Sie mit der Zeit ein ganz anderes Körperbewusstsein und können dem zu Teil panischen Tönen rund um die „richtige“ Ernährung entgegentreten.

In diesem Sinne, ich hoffe Sie nicht allzu sehr mit diesem Thema schockiert zu haben, Ihnen einen guten Appetit!

Andreas Sommers