Müssen die Bäcker das Brot backen wieder neu lernen?
Liebe Brotbackfreunde,
haben Sie die Feiertage gut und gesund verlebt? Jetzt geht es ins neue Jahr und ich möchte Ihnen zum Jahresende noch ein ganz dickes Brett zum bohren mit über den Jahreswechsel geben.
Im September wurde der Schwarzemmer in Norderstedt geerntet. Sie wissen vielleicht, dass ich dieses Getreide von Anfang an begleitet habe, so auch seinen Weg in die Mühle, wo er entwest (geschält) werden sollte. Während wir also auf die Körner aus dem Windsichter warteten, kamen wir mit dem alten Mahlmeister ins Gespräch. Er berichtete unter anderem, dass immer mehr Bäcker besorgt in der Mühle anriefen, da sie in Zukunft Sorge um den Proteingehalt vor allem im Backweizen und -dinkel haben.
Dazu müssen Sie wissen: Natürlich angebautes Getreide ohne Intensivdüngung entwickelt einen Proteingehalt zwischen 5 - 9 %. Der Proteingehalt (Eiweißgehalt) bestimmt grob gesagt den Glutengehalt im späteren Mehl. Vereinfacht gesagt, je mehr Protein im Getreide desto mehr Gluten im späteren Mehl.
Um das Getreide mit den notwendigen Nährstoffen zu versorgen damit es viel Protein entwickelt, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Eine kennen Sie vielleicht aus Ihrem Garten selber, den Kompost oder auch den Einsatz von Symbionten wie z.B. Knöllchenbakterien/Schmetterlingsblütler. Diese Düngung ist sehr natürlich, hat aber den Nachteil, dass die Stickstoffabgabe langsam vor sich geht und kaum zu berechnen ist. Es ist schwer vorherzusehen, wie viel Stickstoff erzeugt wird und in welchem Zeitraum. Was bedeutet, dass kaum vorhersehbar ist, was von angehenden Pflanzen aufgenommen wird und wie viel letztendlich nicht verwertet wird. Durch die Nutzpflanzen unverbrauchter Stickstoff kann in tieferen Bodenschichten in Nitrat umgewandelt werden und letztlich das Grundwasser belasten.
Kontrollierter geht es natürlich mit Kunstdünger, der sich ziemlich exakt auf die Bedürfnisse der Pflanzen abstimmen lässt oder mit einem anderen natürlichen Dünger, der vielgescholtenen Gülle.
Die Gülle besteht zum größten Teil aus Wasser, enthält aber neben dem Stickstoff auch viel Phosphat. Der jeweilige Anteil kann vorher gemessen werden und somit auf den Bedarf der Pflanzen abgestimmt, ausgebracht werden. Also ein idealer, natürlicher Dünger, der leider nicht besonders gut riecht und somit von den meisten Menschen am liebsten verboten gehört. Da Gülle je nach Ausrichtung der Landwirtschaft in einigen Landkreisen mit viel Tierzucht vermehrt anfällt und in anderen weniger, muss sie entsprechend verteilt, also transportiert werden. Übrigens ist die Gülle durchaus auch im Biolandbau (Bioland) unter bestimmten Auflagen durchaus erwünscht. Damit das Ganze möglichst in geordneten Bahnen verläuft, gibt es die Düngemittelverordnung. Die Ausbringung der Gülle (und natürlich auch anderer Düngemodelle) ist stark reglementiert und wird kontrolliert. Die durch den Gesetzgeber sehr eng gesetzten Zeitfenster, in denen die Gülle ausgebracht werden darf - der Landwirt also nicht entscheiden kann, wann es für den Boden am besten wäre - führt zu grotesken Situationen. Um eine kurz zu nennen: 2017/2018 waren über den Winter die Böden erst so feucht, dass die Bauern nicht auf die Äcker konnten. Als dann das nächste Zeitfenster für die Aufbringung der Gülle anstand, waren die Böden gefroren. Also blieb den Landwirten nichts anderes übrig, als die Gülle auf die gefrorenen Böden aufzubringen.
Übrigens: Ab 2020 darf die Gülle nicht mehr flächig versprüht werden, sondern muss gezielt per Schlauchdüngung an die Saatstreifen geführt werden. Damit hat sich dann auch die Geruchsbelästigung erledigt.
Auf die seit Jahrzehnten verfehlte Landwirtschaftspolitik und die massiven Fehler der Behörden bei der Meldung der Nitratdaten im Grundwasser an die EU und die daraus resultierenden Folgen möchte ich hier gar nicht eingehen.
Schlimm ist , dass all diese Fakten in der öffentlichen Wahrnehmung überhaupt keine Rolle spielen. Für mich gipfelte das Ganze in einem Zeitschriftenartikel, den ich hier kurz zitieren möchte:
Zitat aus der Zeitschrift «Gesund Leben» (Ausgabe 5/2019), hier schreibt Dr. v. Hirschhausen zum Thema Gülledüngung: «Keiner will den Scheiß. Und deshalb stinkt es hierzulande oft so erbärmlich, wenn man über Land radelt, weil die Felder den Scheiß nicht mehr schlucken können. Und mit dem nächsten Regen kommt alles in die Bäche, in die Flüsse und die Fische sterben.«
Bei soviel an Dummheit grenzender Unkenntnis muss man erst einmal tief durchatmen.
Und was ist jetzt mit den Bäckern?
Das Brotgetreide wird den Landwirten nach Proteingehalt bezahlt. Je höher der Proteingehalt im Getreide, desto mehr Geld gibt es dafür. 12 % ist der mindeste Zielwert. Getreide (Weizen, Dinkel) welches unter 12 % Protein enthält, kann angeblich nicht zum Brot backen verwendet werden. Diese hohen (und unnatürlichen) Proteinwerte im Getreide lassen sich aber nur mit intensiver Stickstoff-Düngung erzielen. Und wir reden hier nicht über die wertvollen Aminosäuren (Proteine) in der Aleuronschicht des Getreidekorns, sondern es geht um die Proteine, allen voran der Glutengruppe, im Stärkekörper. Wird die Stickstoffdüngung also flächendeckend verringert, werden zukünftige Weizen- oder Dinkelernten deutlich weniger Protein enthalten. Bei den hochgradig standadisierten Arbeitsprozessen der Bäcker kann es mit den Getreiden der nach der neuen Düngemittelverordnung mit deutlich weniger Stickstoff gedüngten Böden Probleme geben. Mehle mit geringeren Protein-/Glutenwerten haben keine hohe «Gashaltigkeit», können also das von den Hochleistungshefen erzeugte CO2 nicht mehr halten, würden wohl auseinander fallen.
Mit wenig Protein im Mehl kann man nach Bäckermeinung angeblich kein ordentliches (billiges und mit hoher Wertschöpfung) Brot backen.
Dass es durchaus möglich ist, aus natürlich angebauten Getreiden Brot zu backen, beweise ich seit Jahren jede Woche für meine Kunden auf den Märkten. Es müssten wieder natürlichere Backmethoden erlernt werden, mit längeren Teigreifen, natürlichen Sauerteigen.
Eine Folge der neuen Düngemittelverordnung wird also sein, wollen die Bäcker nicht umdenken, dass verstärkt Getreide und Mehle aus dem Ausland, vor allem aus den USA eingekauft werden, damit die Verbraucher weiter ihre Billigbackwaren wie gewohnt kaufen und konsumieren können.
Nachhaltige Politik und Gesetzgebung sieht anders aus. Die wütenden Proteste der Landwirte in den letzten Wochen sind aus meiner Sicht mehr als verständlich.
Und noch etwas hat mir der Mahlmeister erzählt. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass es immer weniger Felder mit Raps, also einem der Wahrzeichen Schleswig-Holsteins gibt? Deutlich gestiegene Kosten im Transportwesen, immer stärkere Eingriffe der Gesetzgeber in die Landwirtschaft haben den Raps immer weiter verteuert, so dass es für die Ölmühlen billiger ist, den Raps per Schiff aus Südamerika zu holen. Die Schiffe können direkt im Hamburger Hafen anlegen und auf kurzem Wege den Raps in die Ölmühle bringen. Richten wir uns also darauf ein, dass dem Raps die Brotgetreide folgen werden.
Etwas zum Nachdenken, in diesem Sinne wünsche ich Ihnen alles Gute für 2020. Freuen Sie sich auf weitere spannende Themen rund um die Ernährung in meinen Newslettern, und wie immer wünsche ich Ihnen einen guten und gesunden Appetit.
Ihr Andreas Sommers