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Zucker ist eine Droge!

Liebe Brotbackfreunde,
in den letzten Monaten lasen wir viele Berichte darüber, dass die Kinder mehrheitlich übergewichtig sind. Es wurde die Frage gestellt:
Warum gibt es immer mehr Übergewichtige Kinder?

 

Neben den gängigen Erklärungen, die von Experten immer wieder rezitiert werden, möchte ich Ihnen eine These, die aus meiner ganz praktischen Erfahrung resultiert, skizzieren. Sie wissen, ich bin freiberuflicher Ernährungsberater und ehrenamtlich seit vielen Jahren im Rahmen der offenen Ganztagsschule aktiv. Ich koche dort einmal die Woche mit Kindern verschiedener Klassenstufen.
Alles was ich während meines Studiums über Kinderernährung gelernt habe, klang sehr gut und schlüssig, ist aber im alltäglichen Umgang mit den Kindern wenig ziel führend.

Die meisten Kinder sind Zuckerjunkies. Das Feld der Kinderernährung hat die Gesellschaft die letzten Jahrzehnte nahezu komplett der Lebensmittelindustrie überlassen. Und die weiß wie sie ihre heutigen, morgigen und übermorgigen Kunden bei der Stange hält, sie werden süchtig gemacht und die Droge heißt Zucker!

Schon die Angebote für die Säuglingsernährung wimmeln vor Zucker. Sicher, er wird nicht als solcher benannt, lieber wird von gesundem Trauben-, Milch- oder Fruchtzucker gesprochen, es bleibt aber Zucker. Nach den der Muttermilch angenäherten Produkten folgen die Breie. Und um der selbstbewusstesten Mutter, die meint ihr Kind mit selbst gemachten Möhren- oder Kartoffelbrei über das erste Lebensjahr zu nähren, ihre Verirrtheit vor Augen zu halten, spricht in sich endlos wiederholenden Werbespots ein alter Herr über die einzigartigen Vorzüge seiner Breie und Getränke. Bio bis zum Umfallen, Abwechslung für den anspruchsvollen Kindergaumen und selbstverständlich nur natürliche Fruchtzucker.

Ab etwa dem zweiten Lebensjahr bestimmen die Kinder immer stärker den Lebensmitteleinkauf mit. Und jetzt läuft die Marketingmaschine der Lebensmittelindustrie zu Höchstform auf. Milchschnitten, Puddinge mit Kuhflecken, Wurstscheiben in Teddyform usw und alles enthält Unmengen an? Richtig, Zucker. Wenn doch wenigstens die anderen Zutaten dieser Lebensmittel von guter, wenig verarbeiteter Qualität wären, doch leider Fehlanzeige.

Das Ganze setzt sich in der Jugend fort, jetzt kommt noch, besonders perfide, die Lifestylekomponente hinzu, und wehe man gehört nicht dazu, ist selbstbewusst genug, nur Wasser zu trinken und keine stylischen Zuckerdrinks.
Traubenzucker zur Konzentration, Schokoriegel gegen Hunger und soll es dann doch etwas Vollwertigeres sein? Das Angebot an Müsliriegeln ist riesig, natürlich kräftig gezuckert, bestenfalls getarnt durch, auf den Fruchtzucker heruntergedörrtem Trockenobst.
Und werden die zuckergewöhnten, marketinggestörten Kinder von gestern selber zu Eltern, geht der Tanz wieder von vorne los. Und das schon seit einigen Generationen.

Ich begann die Ausführungen mit der Aussage: Die meisten Kinder sind Zuckerjunkies! Und sie verhalten sich auch genauso wie Drogenabhängige. Sie lügen und betrügen, nur um an ihre Droge zu kommen. Und manchmal wird auch Gewalt angewandt, wenn ein anderes Kind seine Naschis (was für eine perverse Verniedlichung) nicht freiwillig teilen möchte.

Ernährungsaufklärung soll es richten, netter Versuch. Ernährungspyramiden, Kreise, grafisch niedliche Portionsdarstellungen, alles mit viel Sachverstand, angeblich Kindgerecht ausgearbeitet. Hat aber alles irgendwie nicht gefruchtet, sonst würde es diese Berichterstattung nicht geben. Lehrer, Ernährungsexperten übertreffen sich dabei, den Kindern zu vermitteln, was ihrer Meinung nach „gesunde Ernährung“ ist. Doch wie jeder Junkie wissen die Kinder, was die Erwachsenen von ihnen hören wollen, und wenn sie besonders gut aufgepasst haben und alles brav gelernt haben, gibt es ganz bestimmt ein Naschi zur Belohnung. Beobachtet man jedoch die Kinder aus einer nicht autoritären Position (kein Elter, Erziehungsberechtigter, Lehrer usw) in ihrem sozialen Umfeld, wird schnell klar, „gesund“ ist ein Unwort. Wie jeder Drogenabhängige fühlen sie sich von den Autoritäten drangsaliert, können ihrer Sucht nicht ungehindert nachgeben. Hinzu kommt, dass die Marketingkampagnen, raffiniert psychologisch auf die Psyche der Kinder ausgerichtet, alles Expertenstreben untergrabend. Ein völlig ungleicher Kampf. Auf der einen Seite eine Industrie mit unglaublicher Marketingmacht, auf der anderen Seite jede Menge Experten unterschiedlichster Fachbereich, die sich oft noch nicht einmal untereinander einig sind.

So haben die Kinder und ihre Eltern eigentlich überhaupt keine realistische Chance dem übergewicht zu begegnen, wenn nicht deutlich drastischere Maßnahmen von Gesetzgeberseite eingeführt werden. Eine Kennzeichnung der Zuckermengen auf verpackten Lebensmitteln ist zwar gut gemeint, aber aus meiner Sicht viel zu schwammig und von der Industrie leicht zu umgehen.
Ein generelles Werbeverbot für Lebensmittel, ähnlich dem Werbeverbot für Tabakwaren, würde hier schon andere Wirkung zeigen. Im ersten Schritt die Lebensmittelwerbung mit Kindern und für Kinder pauschal verbieten und im weiteren Verlauf Lebensmittelwerbung allgemein.

Herzliche Grüße,

Ihr Andreas Sommers