
Die Fallzahl
Liebe Brotbackfreunde,
heute einmal wieder ein Brotthema. Vielmehr geht es ums Mehl. Bei der Qualitätsbeschreibung eines Mehles ist für den Bäcker nicht nur die Höhe des Proteingehaltes wichtig (vereinfacht gesagt: je höher der Proteingehalt, desto höher der Glutengehalt), sondern es taucht auch der merkwürdige Begriff der „Fallzahl“ auf. Die Fallzahl beschreibt den Anteil der Stärkemoleküle im Mehl.
Getreide und das daraus gewonnene Mehl besteht in der Hauptsache aus unterschiedlichen Kohlenhydraten. Angefangen bei einfachem Zucker, bis hin zu komplexen Ballaststoffen. Und dazwischen finden sich die Stärkemoleküle. Diese sind wasserlöslich bzw. binden Wasser. Sie kennen es vielleicht vom Pudding kochen. Dort nutzt man Kartoffel- oder Maisstärke. Schon mit 100 g dieser Stärke, kann man einen Liter Wasser stich- oder schnittfest machen.
Und genau das macht die Stärkemoleküle so interessant für den Bäcker (die Bäckerin), kann man doch mit einem hohen Stärkegehalt sehr viel Wasser binden. Boshaft gesagt, ist Wasser immer noch billiger als Mehl, und wenn man mit Brot Geld verdienen möchte, ist dies ein probater Weg.
Die Stärkemoleküle befinden sich ebenso wie die niedermolekularen Zucker im Stärkekörper des Getreidekorns. Nimmt man die Samenhülle, den Keim und die Aleuronschicht des Getreidekorns weg und vermahlt ausschließlich den Stärkekörper, erhält man ein Mehl (Auszugsmehl z.B.: Typenzahlen 405, 550, 630), das besonders reich an Zuckern und Stärke ist. Jetzt kann der Bäcker mit viel Hefe und Wasser riesengroße Brote erzeugen, die im Materialeinkauf sehr günstig sind.
Den Stärkegehalt des Mehls kann man messen, und hier sind wir beim Begriff der Fallzahl. Dieser Begriff ist durchaus wörtlich zu nehmen. Wie schon beim Pudding beschrieben, wird zur Messung eine definierte Menge Mehl in einer festgelegten Menge Wasser aufgekocht. Die Stärkemoleküle beginnen das Wasser zu binden, die Masse wird stabil. Jetzt lässt man einen genormten Eisenstab in die Masse fallen, und misst wie lange er braucht, die Masse zu durchqueren. Enthält das Mehl nur wenig Stärke, bleibt die Masse eher flüssig und der Stab taucht schnell durch die Masse, die Fallzahl ist gering, kleiner als 100 s. Interessant wird es für den Bäcker, wenn der Stab, aufgrund der Zähigkeit der Masse (durch viel Stärke), nur langsam durchtaucht. Ab der Fallzahl 300 s, wird der Wunschwert der Backindustrie erreicht.
Entsprechend werden die modernen Hochleistungsgetreide nicht nur auf möglichst hohen Proteingehalt sondern auch auf einen möglichst hohen Stärkegehalt gezüchtet. Ein moderner Dinkel z.B. als Auszugsmehl 630 erreicht eine Fallzahl von 330 s und höher.
Warum werden dann die Brote nicht wie unser Pudding aus reiner Stärke gebacken? Ein Teig dieser Art wäre für die Hefen zu zäh, als dass eine porige Krume zu erreichen wäre. Fallzahlen von über 400 s sind zwar möglich, zum industriellen Brotbacken aber nicht mehr geeignet.
Interessant in diesem Zusammenhang, der Roggen hat Fallzahlen unter 150 s, er kann durch seine Schleimstoffe zwar viel Wasser aufnehmen, der Teig wird beim Kneten dadurch allerdings zäh und klebrig, also für Hochleistungshefen ungeeignet. Auch ein Grund, warum Sie beim Bäcker so gut wie nie ein reines Roggenbrot erhalten werden. Erst in der Kombination mit Weizen/Dinkel, möglichst Auszugsmehlen, erreicht der Bäcker seine porige Krume und viel Wasser im Teig.
Es spielen natürlich auch noch andere Faktoren der Mehlqualität für das industrialisierte Backen eine Rolle. Ernährungsphysiologisch sind diese Mehle eher gering zu werten, aber darum backen wir ja auch selber, um aus hochwertigem Getreide leckere Brote, fernab der Wertschöpfungskette, zu backen.
An dieser Stelle möchte ich noch auf eine Neuauflage des hochinteressanten Online-Fermentationskongress ab dem 26.Oktober, auf dem ich auch als Experte spreche, hinweisen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Spaß beim selber Backen und einen guten Appetit!
Ihr Andreas Sommers