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Schule und Ernährung

Liebe Brotbackfreunde,

Kurz zu meiner Beziehung dieser Kombination. Ich habe nach meinem Studium fast 10 Jahre für die offene Ganztagsschule gearbeitet. Anfangs Ehrenamtlich später für ein kleines Honorar. Als ich mit meiner Selbstständigkeit als Ernährungsberater begann habe ich zum Teil 3 x die Woche in verschieden Schulen und Schulformen jede Woche, ein Schulhalbjahr lang mit den Kindern der unterschiedlichsten Klassenstufen gekocht. In der Zeit habe ich ein eigenes Konzept für das Kochen mit Kindern entwickelt, für das ich 2019 mit der inform Medaille des Bundeslandwirtschaftsministeriums ausgezeichnet wurde.

 

In dieser Zeit habe ich die unterschiedlichsten Lehrküchen (stopp – so unterschiedlich sind die gar nicht) kennengelernt. Habe in die Vorratsschränke gucken können, habe die Rezeptblätter, die Schüler liegen gelassen hatten studieren können. Ich denke von mir behaupten zu können, einen ganz guten Überblick über die Ernährungsaufklärung in Schulen zu haben, um mir auch ein Urteil zu erlauben.

Wie oft habe ich zu hören bekommen: „bei den Kindern muss man anfangen“ (nein, muss man nicht, die Erwachsenen dürfen sich hier nicht aus der Verantwortung stehlen und die an die Kinder durch delegieren!), „in der Schule muss mehr über Ernährung gelehrt werden“, Politiker*innen (mein erstes Gendersternchen) fordern bessere Lebensmittel in den Schulessen, mehr Aufklärung usw.

Klar soweit, alles schön und gut gemeint, doch wie sieht es in der Praxis aus?

Die Stundenpläne sind vollgestopft und keine Fachschaft ist bereit auch nur eine Stunde zugunsten eines anderen Fachs aufzugeben. Dann war da noch der gute alte Hauswirtschaftsunterricht, lag noch hinter Sport und Musik, hatte kaum Präsenz in dem Stundenplan der Schüler, in Schulformen wie dem Gymnasium kam der gar nicht vor.

Gut, da wurde gekocht. Naja, das Kochen war eigentlich nur Beiwerk. Es wurde mehr oder weniger Hauswirtschaft gelehrt. Also was hat wo seinen Platz in der Küche, Nahbereich auf dem Arbeitstisch, Fernbereich usw. Kochen? Klar, den Pudding nach Packungsbeilage zubereiten. Instantbrühe, Jodsalz, 405er Mehl, Gewürzmischung, Mondamin, Backin, Vanillin (Dr. Oetker läßt grüßen und seine Schulkochbücher auch) und vor allem Zucker, Zucker, Zucker.

Und dann kamen weitere Anforderungen an die Schüler. Medienkompetenz sollte gelehrt werden, Handyverträge, Urheberrecht, Sozialkompetenz. In welchen Fachbereich? Klar, es wurde dem Schwächsten in den Lehrplan gedrückt.

Die Hauswirtschaft, die vielleicht noch halbwegs so etwas wie den Umgang mit Lebensmitteln vermittelte, wurde in „Verbraucherschulung“ umgewidmet und all diese Themen neben dem Kochen gelehrt werden – Kochen? Moment mal – bei 90 Min. in der Woche, mussten es erst einmal mind. 30 Min. Frontunterricht sein. Dann Lebensmittel verarbeiten, Kochen, Küche Sauber machen, Essen in weniger als 60 Min?

Ich glaube ich habe Ihnen die Situationen wie ich sie kennengelernt habe ganz gut skizziert. WPK (Wahlpflichtkurs) werden Sie einwerfen? Klar da wird auch mal Kochen angeboten, da werden dann Rezepte, kopiert aus Zeitschriften oder Kochbüchern (wie war das doch gleich mit dem Urheberrechtschutz?) nach gekocht. Jeder Einzelne kocht an seiner Kochkoje (so heißen die Arbeitsplätze in einer Schulküche) nach genau dem selben Rezept. Die Ergebnisse werden dann irgendwie am Ende bewertet. Ist das nicht gruselig?

Ich gebe zu, ich spitze ein wenig zu. Ein wenig, aber nur sehr wenig. Wie soll es also mit der Ernährungsaufklärung in den Schulen angehen. Mehr Stunden für die Verbraucherschulung? Ein eigenes Fach Ernährung? Und wo sollen die Stunden dafür her kommen? Und vor allem woher kommt kompetentes Lehrpersonal, das sich sowohl mit Lebensmittel, deren richtiger Zubereitung und den Wirkweisen auf den Körper auskennt? Das sieht hier aber zappenduster aus.

Ernährung ist mehr als Rezepte in der Lehrküche nachkochen. Vielleicht ein wenig über Kohlenhydrate, Proteine und Fette zu erklären, Vitamine und Mineralstoffe und natürlich immer wieder den bösen, bösen Zucker zu verdammen.

Unsere tägliche selbstverständliche Ernährung sollte genauso selbstverständlich in jedem Fach des Stundenplans ihren Platz haben. Im Deutschunterricht könnte man sehr gut auch mal über Kochrezepte/Bücher sprechen. Wie gut sind die Rezepte erklärt? Geht es nicht vielleicht verständlicher? Ernährung ist Physik, die Dispersion fester Bestandteil eines jeden Kochvorgangs. Frittieren ist eine der fettärmsten Zubereitungsmethoden, wenn man die Physik dahinter versteht. Ernährung ist Chemie, wie schafft es ein Kefirpilz aus Zucker wertvolle Proteine zu machen? Ernährung ist Geschichte, genauer gesagt: Kulturgeschichte. Gerne wurde uns im Geschichtsunterricht eingetrichtert, dass die großen Revolutionen aus Politischen Bewegungen resultierten. Doch meistens ging es doch nur darum, dass die Menschen sich ihr Essen nicht mehr leisten konnten. Englisch, Französisch, Spanisch – jedes Land hat seine ganz eigene regionale Küche. Warum essen die Menschen im Rhone Delta Schnecken? Die Engländer Plumpudding? Woher haben die Spanier den Mais? Latein? Die Römer hatten bereits herrliche Kochbücher. Biologie? Könnte man wohl ein ganzes Schuljahr füllen, mit den Wirkweisen von Lebensmitteln auf den Körper. Im Religions- bzw. Philosophieunterricht lässt sich trefflich darüber diskutieren welche Lebewesen wir essen dürfen. Übrigens finden sich sehr viele Ernährungsregeln in der Bibel. Habe ich ein Fach vergessen? Ohh, die Mathematik, erhaben über profane weltliche Dinge. Ejne Aufgabe: In einem Rezept für vier Personen finden sich 10 Zutaten mit den entsprechenden Mengenangaben. Was muss auf den Einkaufszettel, wenn sieben Personen kommen, eine davon eine Zutat nicht verträgt, zwei weitere nur die Hälfte essen? Haben Sie nicht auch Textaufgaben geliebt? Oder berechnen Sie einmal die Gesamtkohlenhydratmenge aller Lebensmittel die Sie am Tag so zu sich nehmen.

So lässt sich der Stundenplan ganz organisch mit dem Thema Ernährung bereichern, und zwar in jeder Klassenstufe, angefangen in der Grundschule bis zu Abschlussjahrgang. Und dann kann man natürlich noch in die Küche gehen (wenn die Schule überhaupt noch eine Schulküche hat) und die Theorie in die Praxis umsetzen. Das wird mit Sicherheit spannender, als einfach nur ein kopiertes Rezept nach zu kochen.

In diesen Tagen sprach ich mit einer Lehrkraft, die Hauswirtschaft unterrichtet. Coronabedingt konnte der Unterricht nicht mehr in der Küche stattfinden, wurde nach draußen gelegt. Da wurde dann ein wenig Gemüse geschnibbelt, Salat gemacht, kalte Küche. Wie einfallslos! Lieblingsbeschäftigung der Deutschen das Grillen! Hier zeigen, dass es nicht immer nur Fleisch sein muss. Haben Sie schon mal mit einem Dutch Oven gearbeitet, dem Südafrikanischen Pottje? Mit einem Arabischen Tajine?

Ich habe nur eine sehr kleine Hoffnung, dass meine Gedanke es bis in die Kultusministerkonferenz schaffen, eine große hingegen, Ihnen ein paar Gedankenanstöße vermittelt zu haben.

Guten Appetit und bleiben Sie gesund!

Andreas Sommers